Eintauchen in den klösterlichen Lebensrhythmus
An den Klostererlebnistagen am Bodensee erleben die Besucher*innen vom 8. bis zum 11. Oktober ehemalige und aktive Klöster hautnah. 22 Klosterorte öffnen dafür in der ganzen Bodenseeregion ihre Pforten und gewähren – auch auf Schweizer Seite – ungewöhnliche Einblicke.
Die Klöster der Bodenseeregion hatten seit dem Mittelalter und über alle Grenzen hinweg einen prägenden Charakter. Bestes Beispiel sind die UNESCO-Welterbe-Klöster Reichenau und St. Gallen, die Kunst und Kultur in ganz Europa beeinflusst haben. Auch mit ihrer Architektur haben Klöster und Kirchen der Bodenseeregion ihren Stempel aufgedrückt: Die drei bedeutenden Reichenauer Klosterkirchen lassen die klare Schönheit der Romanik erstrahlen, während in der St. Galler Kathedrale oder im Kloster St. Katharinental das Zeitalter des Barock auflebt.
Vielfältiges ProgrammDoch wie sah früher der Alltag von Mönchen und Nonnen überhaupt aus? Dieser Frage können Besucher*innen im Oktober an den Klostererlebnistagen nachgehen. Während vier Tagen geben rund 22 ehemalige und noch aktive Klöster rund um den Bodensee Einblicke in ihre reiche Geschichte. Die einen laden zur Übernachtung im Kloster ein, zu Wildkräuterwanderungen oder Weinproben, die anderen zum musikalischen Austausch, viele bieten nicht alltägliche Führungen an. So zeigt das Freilichtmuseum und die Klosterbaustelle Campus Galli in Messkirch (D) auf, wie mit alten Werkzeugen und Techniken aus dem Mittelalter ein Kloster nach dem berühmten «St. Galler Klosterplan» entsteht (forumKirche Nr. 10/2019). Vielerorts werden auch Veranstaltungen angeboten, die den Besucher*innen Raum und Zeit für innere Einkehr bieten.
Gelebte GeschichteSo können in der Kartause Ittingen Besucher* innen vom 9. bis 11. Oktober ein ganzes Wochenende lang «Auf den Spuren der Mönche» wandeln. «Das ehemalige Kartäuserkloster ist authentisch erhalten und restauriert. Innerhalb der Anlage begegnet man hier an unzähligen Plätzen der Geschichte des Ortes. Vor allem beim Besuch der Klosterkirche und der ehemaligen «Mönchszellen» im Ittinger Museum wird die Geisteshaltung der ehemaligen Klosterbewohner deutlich spürbar», erklärt Cornelia Mechler, Leiterin Verwaltung, Marketing und PR des Kunstmuseums Thurgau/Ittinger Museum. Dabei würden, erzählt sie weiter, Gedanken zu Stille, Einsamkeit und zum Schweigen vermittelt, «die in dieser konsequent gelebten Form heute schwer nachvollziehbar sind, jedoch wertvolle Impulse für unsere Zeit geben». Kirchen und Klöster seien Zentren von Wissen, Kultur und Macht gewesen, nicht nur aufgrund ihres finanziellen Reichtums, sondern vor allem wegen ihrer geistigen Werte. «Ihre besondere Wirtschafts- und Lebensweise hat im Bodenseeraum nicht nur eine einzigartige Kulturlandschaft geschaffen, sondern Impulse für Neuerungen in vielerlei Hinsicht gegeben», sagt sie.
Mystik und BarockAm 10. Oktober wird im Kloster St. Katharinental in Diessenhofen ab 10 Uhr das Gitter geöffnet, das normalerweise die Besucher* innen vom Kirchenraum und dessen vollständiger Besichtigung trennt. Jeweils um 11 Uhr und um 13 Uhr gibt die einstündige kostenlose Führung «Mystik und Barock » durch die Klosterkirche und das Kleine Hausmuseum Einblick in die Bau- und Klostergeschichte von St. Katharinental. Das Dominikanerinnenkloster war vor allem im 14. Jahrhundert einer der Orte, wo die Mystik durch das Wirken von Meister Eckhart und Heinrich Seuse das Kloster - leben bestimmte. Im 18. Jahrhundert wurde unter der Priorin von Rottenberg der barocke Klosterkomplex neu errichtet. «Die beiden Perioden beschreiben die lange Tradition der Klosterbauten auf diesem speziellen Areal am Rhein», erklärt Betty Sonnberger. Die Kunsthistorikerin ist bei der Thurgauer Denkmalpflege für kirchliche Kunstgegenstände zuständig und führt zusammen mit einem Kollegen durch die geschichtsträchtigen Gebäude. Als musikalischer Ausklang findet um 15 Uhr ein Live-Orgelkonzert auf der grossen Bommer Orgel statt. «Ein seltenes Vergnügen, da wir in diesem Jahr praktisch keine Konzerte durchführen konnten», so Betty
Sonnberger.
Im Mittelpunkt der Tagesfahrt «Kirchen, Klöster & Konzil», die am 9. Oktober in Konstanz startet, stehen zwei bedeutende Benediktinerklöster, nämlich das von der Insel Reichenau und das von Stein am Rhein. «Die Idee dabei ist, zwei ganz unterschiedliche Klostertypen zusammenzubringen », erklärt Kunsthistoriker und Philosoph Henry Gerlach, der die Fahrt begleiten wird. Während das grosse Reichskloster der Reichenau nach seiner Blütezeit im 11. Jahrhundert an Bedeutung verlor, erlebte das kleinere Kloster St. Georgen in Stein am Rhein im 13. Jahrhundert erst seinen Aufschwung. Auf der Reichenau wird die Klostergeschichte vor allem an der Kirche St. Georg (Oberzell) aufgezeigt. Eine Besonderheit stellt dort das Spottbild mit der Kuhhaut dar, auf die der Teufel das «Blabla» der «geschwätzigen Weiber» schreibt. Der Aufenthalt auf der Insel wird mit einem Spaziergang auf die Hochwart abgerundet. Anschliessend führt die Fahrt über die Höri nach Stein am Rhein. «Wir gehen auch der Frage nach, was ein Reichskloster ist und welche anderen Klöster es in der näheren Umgebung gab», ergänzt Gerlach.
Tradition des PilgernsIn Konstanz selbst kann man am 10. Oktober auf unterschiedliche Weise den Spuren klösterlichen Lebens folgen. Die Stadtführung «Das grosse sakrale Erbe» vermittelt Hintergründe zum ehemaligen Dominikanerkloster (heute Inselhotel), zum Kloster Zoffingen, das auf eine Beginengemeinschaft von Wil zurückgeht, zur Stefanskirche und Dreifaltigkeitskirche. Der «Stadtspaziergang » orientiert sich am alten Jakobsweg vom Münster zum Kirchlein Bernrain. Während des Spaziergangs wird die Historikerin Frauke Dammert Wissenswertes über die Tradition des Pilgerns, die Geschichte der Wallfahrtskapelle «Heiligkreuz auf Bernrain», den Schwabenweg im Thurgau und die religiöse Bedeutung von Konstanz im Mittelalter vermitteln. Wer sich eher für die klösterliche Spiritualität interessiert, kann zum ehrwürdigen Haus St. Josef am Münsterplatz kommen. Dort bieten die Pallottiner einen Einblick in ihre Gemeinschaft und laden zu einer Stilleübung in ihrem Gebetsraum ein.
Wichtige Bedeutung«Uns war es wichtig aufzuzeigen, welche kulturelle Bedeutung Klöster im Laufe der Geschichte hatten und was von diesen Werten die Zeit überdauert hat. Ein Kirchenraum lässt sich nicht auf einige historische Fakten reduzieren, sondern hat bis heute eine Wirkung auf uns», erklärt der Historiker Helmut Fidler, Projektmanager für Kultur und Touren beim Tourismusverband Regio Konstanz-Bodensee-Hegau e.V. Der Verband mit Sitz in Konstanz koordiniert die Leitung des Projekts «Inspiration Bodensee: Kirchen, Klöster, Weltkultur», im Rahmen dessen die grenzüberschreitenden Klostererlebnistage vor gut drei Jahren entstanden. Dies mit dem Ziel, die bedeutenden Klöster und Kirchen der Region verstärkt in den Fokus zu rücken. «Wir möchten an die damaligen Vorstellungen anknüpfen, die man früher mit diesen Orten verband und warum diese über die Jahrhunderte so wichtig für die Menschen gewesen sind. Im Blick zurück kann man die gelebten Traditionen als spirituelles Erlebnis ins Hier und Jetzt transportieren», so Fidler.
Grenzüberschreitendes KonzeptAn dem Projekt «Inspiration Bodensee: Kirchen, Klöster, Weltkultur» beteiligen sich die regionalen Touristikverbände (auf Schweizer Seite Thurgau Tourismus und St. Gallen Bodensee Tourismus), die Evangelischen Landeskirchen in Baden-Württemberg sowie die Erzdiözese Freiburg, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Stiftung Welterbe Klosterinsel Reichenau, das Ittinger Museum und der Verein Weltkulturerbe Stiftsbezirk St. Gallen. Finanziert wird es aus Geldern des EU-Förderprogramms INTERREG. Von Anfang an sei dabei klar gewesen, dass man die Schweizer Klöster in das Konzept integrieren möchte. «Bis 1821 reichte das alte Bistum Konstanz bis nach St. Gallen und den Alpenrand. Das spiegelt auch das Projekt wider – das, was man als Bodenseeregion bezeichnet, ist nicht durch eine Grenze bestimmt, sondern umfasst alle vier Länder. Die Bereitschaft an einer Zusammenarbeit war deshalb auch überall vorhanden», so Helmut Fidler. Dafür stehe beispielsweise auch die Kunst des Oberbussnanger Künstlers Daniel Gallmann, der noch bis Juni 2021 in vier Kirchen in Öhningen und Stein am Rhein mit seinen Installationen aus dem Grenzraum einen Kunstraum mache. Angesprochen auf die Zukunft der Klöster und die Gefahr für die heute noch aktiven Klöster durch Überalterung sagt Helmut Fidler: «Die Kartause Ittingen ist ein prägnantes Beispiel dafür, wie ein ehemaliges Kloster nach der damaligen Tradition weitergeführt werden kann». Er ergänzt: «Mit unserem Projekt können wir zeigen, dass es die Klöster gibt und dass die kulturellen Impulse, die von ihnen ausgegangen sind, bis heute wirken und eine Existenzberechtigung haben».
Sarah Stutte und Detlef Kissner, forumKirche 29.9.20
Weitere Informationen
Die Veranstalter empfehlen nochmals zu überprüfen, ob die einzelnen Anlässe wirklich stattfinden können. An vielen Orten wird zudem eine Anmelde- und Maskenpflicht vorausgesetzt. Mehr zu den Klostererlebnistagen und das komplette Programm zum Download: www.bodensee-kloester.eu. Unter dem Projekt «Inspiration Bodensee: Kirchen, Klöster, Weltkultur» laufen noch weitere Veranstaltungen wie beispielsweise eine Tagung im Rahmen des 150-Jahr-Jubiläums der Landeskirchen Thurgau zum Thema «Kunst & Kirche heute» in der Kartause Ittingen (16./17. Oktober), Anmeldung noch möglich.
Kommentare