Untersuchungsbericht erschüttert das Erzbistum Freiburg
Der neue Bericht zu Missbrauch im Erzbistum Freiburg (D) entlastet Erzbischof Burger. Vorgänger Robert Zollitsch muss sich jetzt in Rom verantworten. Dem früheren Vorsitzenden der Bischofskonferenz wird massives Versagen vorgeworfen.
Mindestens 540 Missbrauchsopfer – vor allem minderjährige Mädchen und Jungen. Und mehr als 250 nachweislich schuldig gewordene oder des Missbrauchs beschuldigte Priester: Diese Schreckensbilanz für Taten seit den 1950ern bis in die Gegenwart zieht die Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Freiburg. «Und wir müssen uns klarmachen, dass es vermutlich ein noch grösseres Dunkelfeld gibt, weil sich viele Betroffene bis heute nicht gemeldet haben», erläuterte der Kommissionsvorsitzende, der Theologe Magnus Striet.
Hunderte Protokolle ausgewertet
Die Untersuchung will aber mehr als Zahlen nennen. Sie hat den Anspruch, am Beispiel des Erzbistums jene verhängnisvollen Machtstrukturen in der katholischen Kirche aufzudecken, die jahrzehntelang zu Missbrauch, sexualisierter Gewalt und Leid führten. Vier Juristen und Kriminologen haben dazu Personal- und Geheimakten ausgewertet, die vielfach erstmals für eine Untersuchung zugänglich wurden. Sie befragten 180 Zeug*innen, darunter Täter und Opfer, und werteten Hunderte Protokolle des Führungsgremiums der Diözese aus.
Die 600-Seiten-Studie dokumentiert schweres Fehlverhalten vor allem bei den früheren Erzbischöfen Oskar Saier (1978-2002) und Robert Zollitsch (2003-2013). Während Saier 2008 starb, muss sich der 84-jährige Zollitsch seiner Verantwortung stellen. Er liess mitteilen, sich vorerst nicht äussern zu wollen. Zollitsch erinnerte an sein Schuldeingeständnis und seine Bitte um Verzeihung. Der aktuelle Erzbischof Stephan Burger wird im Bericht vollständig entlastet. Ihm sei kein Fehlverhalten vorzuwerfen.
Erzbischof schützte Täter
Betroffene reagierten schockiert. Die Untersuchung belege schwarz auf weiss, dass der Kirche «missbrauchte Kinder und verletzte Kinderseelen über Jahrzehnte gleichgültig waren», so der Betroffenenbeirat im Erzbistum. Unter Zollitschs Führung sei die Kirche ein «Schutzraum für Täter» gewesen und eine «Hölle für Kinder». Auch Burger zeigte sich erschüttert. Es gelte, weiter auf Betroffene zuzugehen und sie bestmöglich zu unterstützen. Auch die Prävention sowie die Kontrolle verurteilter Täter müssten verstärkt werden. Zugleich teilte Burger mit, bereits vor längerer Zeit kirchenrechtliche Schritte gegen Zollitsch eingeleitet zu haben. Eine Bewertung der Vertuschungsvorwürfe liegt damit in der Hand des Vatikans.
Akten wurden vorenthalten
Anhand von 24 exemplarischen Fällen zeigt der Bericht auf, dass die Verantwortlichen im Umgang mit sexualisierter Gewalt durch Priester glasklare Prioritäten setzten: verschweigen, vertuschen, Täter schützen. Protokolle der Führungsrunde belegen, dass der Staatsanwaltschaft Akten vorenthalten wurden und Missbrauchstaten bewusst nicht in die Personalakte aufgenommen wurden. Auch das Kirchenrecht – etwa die Meldepflicht an den Vatikan – sei wissentlich ignoriert worden. Selbst dann noch, als Robert Zollitsch Vorsitzender der Bischofskonferenz war und schon strengere Richtlinien galten.
Vielfach wurden Täter ohne Auflagen versetzt – und ohne die neue Kirchengemeinde zu informieren. Ein Zeuge erinnert sich, dass Saier ihm einmal bei einer Autofahrt gesagt habe: «Da drüben in dem Ort habe ich auch einen versteckt.» Der Schutz der Institution Kirche stand über allem. Dies habe sich erst mit der Wahl Burgers geändert.
Betroffene mundtot gemacht
Die Untersuchung beschreibt, dass die Kirchenleitung versucht habe, Betroffene nach Hinweisen mundtot zu machen. Geradezu unerträglich nannte Studienautor Edgar Villwock den Fall einer Mutter, der nach Vorwürfen gegen den Pfarrer in ihrer Gemeinde das Leben zur Hölle gemacht worden sei - auch von anderen Katholik*innen vor Ort, die ihren charismatischen Pfarrer blind verteidigten. Laut Studie schrieb Zollitsch einem wegen Missbrauchs Minderjähriger Verurteilten: «Sie haben sich vom Herrn zum Priester berufen lassen und durften erfahren, wie segensreich Ihr Tun war.» Einem Priester, der Ministranten missbraucht hatte, wurde «gutes Geschick» im Umgang mit Jugendlichen bescheinigt. «Wie es zu dieser Empathielosigkeit kommen konnte, ist mir unerklärlich», sagte Burger.
Welche Konsequenzen das Erzbistum aus der Studie ziehen wird, ist noch nicht klar. Aber Burger sagte zu, alle Strukturen erneut auf den Prüfstand zu stellen. Gerade auch bei der Überwachung von Missbrauchstätern. «Das sind wir den Betroffenen schuldig.»
Volker Hasenauer, kna/Red., 26.04.2023
Kommentare