Strafprozess gegen Kardinal Becciu
Erstmals ist im Vatikan ein Kurienkardinal von Laienrichtern verurteilt worden. Die Anwälte von Kardinal Giovanni Angelo Becciu haben Berufung angekündigt. Die weltliche Justiz des Papstes übt sich in Rechtsstaatlichkeit.
Als der Vorsitzende Richter Giuseppe Pignatone am 16. Dezember im vatikanischen Finanzstrafprozess zur Verlesung des langen Urteils schritt, begann er seinen Vortrag mit der Anrufung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Nicht im Namen eines Volkes – denn das gibt es im Vatikanstaat nicht –, sondern im Namen Gottes ergingen die Urteile.
Normaler Prozess
Doch das war der einzige Punkt, in dem sich der Prozess gegen den italienischen Kardinal Angelo Becciu und neun weitere Angeklagte von einem «normalen» Urteil unterschied. An den Wänden des Gerichtes hingen ein Konterfei des Staatsoberhauptes sowie ein Kreuz – so wie das auch in anderen Staaten üblich ist. Ähnlich wie im Nachbarland Italien, dessen Strafgesetzbuch in der Fassung von 1890 der Vatikanstaat im Wesentlichen nutzt, trugen die Richter und die Anwälte Roben mit besonderen Kragen. Ein Hinweis darauf, dass sie hier nicht als Person, sondern als Amtsträger agieren und sprechen.
Vatikan als Rechtsstaat
Der winzige Staat der Vatikanstadt, so die Botschaft der Bilder, ist ein Rechtsstaat. Und das, obwohl er eine Monarchie bleibt und der Papst gleichzeitig Staatsoberhaupt, einziger Gesetzgeber und Oberster Richter ist. Zu zeigen, dass es auch unter diesen Bedingungen möglich ist, einen fairen Prozess zu führen, war ein Ziel in diesem Verfahren. Tatsächlich spricht der Verlauf des zweieinhalb Jahre dauernden Prozesses dafür, dass ordentliche Rechtsprechung auch im Vatikan funktionieren kann. An 86 Verhandlungstagen wurden 69 Zeugen gehört, die Protokolle umfassen mehr als 11’000 Seiten.
Stimmige Urteile
Auch die Urteile fallen sehr differenziert und auf den ersten Blick stimmig aus. Ein Angeklagter, der Geistliche Mauro Carlino, wurde vollständig freigesprochen, weil er von den Machenschaften seiner Vorgesetzten nichts mitbekommen hatte. Zwei Angehörige der vatikanischen Finanzaufsicht, darunter der Schweizer René Brülhart, kamen mit moderaten Geldstrafen davon, weil sie ihrer Anzeigepflicht nicht nachgekommen waren.
Die einzige Frau unter den Angeklagten, die mit Becciu befreundete «Beraterin» in internationalen Angelegenheiten, Cecilia Marogna, erhielt eine saftige Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie gemeinsam mit dem Kardinal einen Betrug organisiert hatte, um 570’000 Euro aus dem Vatikanvermögen auf ihr privates Konto umzuleiten. Angeblich diente das Geld einer Geiselbefreiung im Auftrage des Papstes, tatsächlich – so der Vorwurf der Anklage –kaufte sie sich davon teure Dinge wie Handtaschen und Schmuck.
Unterschlagung schenkt ein
Dieser gemeinschaftlich organisierte Betrug machte wohl auch den Löwenanteil an der Haftstrafe für Becciu aus. Sie beläuft sich auf fünfeinhalb Jahre. Zusätzlich zu dem Betrug gingen auch noch zwei Unterschlagungen auf seine Kappe. Eine davon, die zum verlustreichen Kauf einer 200 Millionen US-Dollar teuren Immobilie in London führte, war so spektakulär, dass sie oft als der eigentliche Gegenstand des Prozesses genannt wurde. Tatsächlich erhielten die am Erwerb und verlustreichen Verkauf der Immobilie beteiligten «Vermittler», Finanzberater und Makler mit Gefängnis zwischen fünfeinhalb und siebeneinhalb Jahren die heftigsten Strafen in diesem Verfahren.
Exempel statuiert
Die Anwälte der Verurteilten haben bereits Berufung angekündigt. Sie haben Chancen, ihren Weg durch die Gerichtsinstanzen so sehr in die Länge zu ziehen, dass die Sache entweder verjährt oder dass betagte Verurteilte wie Becciu (75) am Ende die Haft nicht mehr antreten müssen. Dennoch scheint es der Vatikan-Justiz gelungen zu sein, ein Exempel zu statuieren. Für alle, die der Papst mit der Verwaltung von Vermögen und Spenden beauftragt hat, ist nun zweifelsfrei geklärt, dass im Vatikan finanzielle Vergehen genauso scharf verfolgt werden wie in Italien. Und dass es selbst für hochrangige Kardinäle keine Ausnahme gibt. Denn Becciu war als «Substitut» immerhin die Nummer zwei im vatikanischen Staatssekretariat. Zudem hat der Papst aus dem Skandal längst Konsequenzen gezogen: 2020 entzog er dem Staatssekretariat und anderen Untereinheiten des Heiligen Stuhls alle Verfügungsgewalt über Vermögenswerte. Seither dürfen nur noch die Güterverwaltung APSA und die Vatikanbank IOR Geld anlegen.
Ludwig Ring-Eifel/Red., 27.12.2023
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