Die Tonspur im Museum Kloster Sankt Georgen

Das ehemalige Kloster Sankt Georgen in Stein am Rhein ist heute ein Museum. Zur Saisoneröffnung am 1. April können sich die Besucherinnen und Besucher neu mit einer Art Hörspiel an elf Stationen durchs Museum führen lassen – mithilfe ihres Handys. Konzipiert, getextet und realisiert hat es der Radiokünstler und Theologe Reto Friedmann.

« Immer wieder fragen Besucherinnen und Besucher, wo die Mönche sind, wenn sie das Museum Kloster Sankt Georgen in Stein am Rhein betreten », erzählt Reto Friedmann. « Dabei wurde das Kloster vor 500 Jahren aufgehoben. Das fand ich eine spannende Ausgangslage. Wenn wir mit den heutigen Vorstellungen von einem Kloster dem Gebäude begegnen, so trifft diese Vorstellung auf die baulichen Spuren des historischen Klosters, aber auch auf die baulichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts, die von den damaligen romantischen Vorstellungen des Klosterlebens erzählen. » Friedmann führt aus, dass man heute beim Besuch des Museums nicht weiss, was originale Klosterbausubstanz ist, was zurückgebaut worden ist und was aufgrund von Vorstellungen im 19. Jahrhundert rekonstruiert worden ist im Sinne des Historismus.

Auftrag für St. Katharinental
Diese verschiedenen Zeitebenen bilden das Konzept von Reto Friedmanns Tonspur « Zimmer. Ein profaner Rundgang durch das Kloster ». Es ist seine vierte Tonspur. Angefangen hatte es damit, dass er von der Thurgauer Denkmalpflege angefragt worden war, ob er nicht dem Publikum des ehemaligen Klosters St. Katharinental vermitteln könne, was das für ein Ort gewesen sei. Die heutige Rehaklinik hat sich vor allem auf die Rehabilitation des Bewegungsapparates und auf Schmerztherapie spezialisiert. Reto Friedmann schien als Radiokünstler und Theologe, noch dazu in Weinfelden und Bürglen aufgewachsen, dafür geeignet zu sein, um auch der Spiritualität dieses Ortes gerecht zu werden. Ein Schwerpunkt der Tonspur liegt in der Spannung zwischen damaliger Leidensmystik und heutiger Schmerztherapie. So trifft ein fiktiver, ehemaliger Patient auf Persönlichkeiten der Klostergeschichte. Weitere Tonspuren folgten für Flüeli-Ranft und die Kartause Ittingen.

Ausgangslage als Vorlage für Produktion
Für die Tonspur von Sankt Georgen kontaktierte Reto Friedmann von sich aus den Museumsleiter Andreas Münch. So entstand eine fruchtbare, anregende Zusammenarbeit während etwa zweier Jahre. « Alles Inhaltliche, das ich einfliessen lassen wollte, habe ich zuerst aufgeschrieben. Danach erfolgte die narrative Umsetzung : das Einbetten der Fakten in ein Geschehen. Die Produktion war sehr zeitintensiv, ich habe viel gelesen und Andreas Münch meine Texte vorgelegt. Am Ende habe ich die Tonspur einer Gruppe von Leuten vorgespielt, um ihr Feedback abzuholen. Dadurch gab es noch einige Änderungen », erklärt Friedmann sein Vorgehen. « Typisch für mich ist, dass ich die Ausgangslage als Vorlage für die Produktion genommen habe. Das Hörspiel handelt vom ersten Rundgang eines Hörspielautors mit der Museumsdirektorin durch das Museum, um die Möglichkeit einer Tonspur zu besprechen. » Mit der Besetzung von Brezel Göring als Stimme des Hörspielautors wollte Friedmann einen grösstmöglichen Kontrast zum klösterlichen Ort herstellen. Brezel Göring ist Musiker und war Mitglied der ehemaligen Berliner Kultband « Stereo Total », die punkigen Synthiepop spielte.

Vier unterschiedliche Charaktere
Auf der Tonspur steht die Museumsdirektorin mit französischem Akzent dem Vorhaben des Hörspielautors grundsätzlich wohlwollend gegenüber. Sie hat aber ihre eigenen Vorstellungen, wie das Hörspiel sein könnte, und betont die historischen Gegebenheiten. Reto Friedmann hat noch zwei weitere Figuren eingeführt, die zusätzliche Aspekte und Ansichten einbringen : Bianca, die gegenüber den Männern recht sachlich und kritisch argumentiert und nicht politisch ist. Sie ist für die Musik des Hörspiels zuständig. Daneben Alex, ein Sprecher, der vom Hörspielautor bereits verfasste Texte an den entsprechenden Stationen vorliest. Er verkörpert den Typus Museumsbesucher mit gängigen Erwartungen. Als Gemütsmensch bildet er die Gegenfigur zum Hörspielautor. So bedauert er an Station 10, dass die Gestalt in Mönchskutte, die während Jahrzehnten dort schreibend am Tisch sass, nicht mehr vorhanden ist. Alex hätte auch gerne einen gregorianischen Choral für diese Station statt der sphärischen Klänge, die Bianca vorgesehen hat und die wiederum der Museumsdirektorin gefallen, wenn auch in etwas dezenterer Ausführung. So sind die Diskussionen an den verschiedenen Stationen nicht immer harmonisch, sondern spiegeln die unterschiedlichen Zugänge und Erwartungen hinsichtlich eines Museumsbesuchs. 

Tonspur zum Schmunzeln
Sind die ersten drei Tonspuren in ernstem Ton verfasst, wollte Reto Friedmann nun bewusst eine Tonspur kreieren, die die Zuhörenden auch schmunzeln lässt. Bei aller Berechtigung der vier unterschiedlichen Positionen werden diese zum Teil ziemlich zugespitzt, sodass die Zuhörenden laut lachen können. Oder staunen, beispielsweise über die Idee an Station 5, den Klang von knabbernden Seidenraupen zu produzieren. Denn vor dem Verkauf des Klosters an den Pfarrer Ferdinand Vetter im Jahr 1875 beherbergte es eine Textilmanufaktur und Seidenraupenzucht. Tatsächlich tönen fressende Seidenraupen so, wie es auf der Tonspur zu hören ist. Sie erinnern an das Prasseln von Regen. Die Aufnahmen stammen von Marcus Mäder, einem Naturwissenschaftler und Klangkünstler, der mithilfe hochsensibler Mikrofone die Geräusche der Seidenraupen zu reproduzieren vermag. Er hat die etwas andere Art von Musik für die Tonspur beigesteuert. 

Faktenwissen (hör)spielerisch vermittelt
Auf unterhaltsame Weise erfährt die Zuhörerin, der Zuhörer ganz viel über die Geschichte des Klosters – quasi nebenbei. Das macht die Faszination der Tonspur aus. Und genau deshalb dürften diese Fakten besser im Gedächtnis haften bleiben als beim Anhören einer gängigen Führung oder Audioführung. Die Pointe am Schluss zeugt vom Humor des Radiokünstlers Reto Friedmann. Haften bleibt auf alle Fälle, dass es im Kloster nicht nur um Spiritualität gegangen ist, sondern auch immer um handfeste wirtschaftliche Interessen. Deshalb wurde das Kloster auf Bitten der Mönche vom Hohentwiel nach Stein am Rhein verlegt, einem Verkehrsknotenpunkt mit Wasserkreuzung. Am neuen Ort entstand ein grosser Gutshof um das Kloster herum, auch das ein wirtschaftlicher Faktor. Nach Aufhebung des Klosters blieb der Wirtschaftsfaktor bestehen. Das Kloster diente als Amtshaus für die neuen Herren von Zürich, als Gefängnis, Schule und als Industriestandort für die Textilmanufaktur und Seidenraupenzucht. Zu jener Zeit war der Gebäudekomplex teilweise baufällig. Das Städtlein Stein am Rhein wollte es veräussern, um zu Geld zu kommen für ein Grossprojekt. « Das Städtlein hätte auch den Abbruch des Klosters für eine indus-trielle Nutzung in Kauf genommen », erzählt Museumsleiter Andreas Münch.

Die beiden Ferdinands
Dazu kam es glücklicherweise nicht, denn der Pfarrer Ferdinand Vetter kaufte das Kloster als Privatperson, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. « Die Familie Vetter stellte seit Generationen Lehrer und Pfarrer », führt Andreas Münch aus. « Eigentlich war das Kloster Sankt Georgen aber das Steckenpferd von Professor Ferdinand Vetter, dem Sohn von Pfarrer Vetter. Dieser hatte nicht nur Interesse am Erhalt des Klosters, sondern am romantisierenden Sich-Zurückversetzen in diese Zeit. Es gibt Fotoaufnahmen, die das Klosterleben von damals nachstellen sollen. So hat er seinen eigenen Sohn in eine Mönchskutte gesteckt und im Klosterhof fotografieren lassen. » 

Freidenker – oder doch nicht ?
Professor Ferdinand Vetter ist eine spannende Person. Er wurde 1847 in Osterfingen geboren. Als Germanist und Mediävist war er erst Gymnasiallehrer, dann Privatdozent an der Universität Zürich. Ab 1876 war er Professor für Germanische Philologie an der Universität Bern und während zweier Jahre Dekan der Philosophischen Fakultät. « Er hat unglaublich viel geschrieben ; fast jeden Monat wurde etwas von ihm publiziert », erzählt Andreas Münch. « So hat er unter anderem als Herausgeber der Schriften von Jeremias Gotthelf ganz wesentlich zu dessen Nachruhm beigetragen. » Obschon er aus einer Pfarrersfamilie stammte, heiratete er nicht kirchlich. « Witzig daran ist, dass Vetter ein Freidenker war, ein Agnostiker », erzählt Andreas Münch. « Er schrieb Artikel darüber, dass Lebensrituale sehr wichtig seien, aber in einen moderneren Kontext gestellt werden sollten – quasi unabhängig von Religion. » Diese Gedanken finden ihren Niederschlag an Station 4 der Tonspur. Umso erstaunter stellt man fest, dass Professor Ferdinand Vetter nach seinem Tod im Jahr 1924 seine letzte Ruhestätte im Kreuzgang von Sankt Georgen gefunden hat – mit Epitaph (Station 11 der Tonspur). 

Theaterstück über letzten Abt
Die Inschrift auf Latein, die im Innenbereich der Abtswohnung oberhalb der Türe angebracht worden ist und aus der Feder von Vetter stammt (Station 8 auf der Tonspur), deutet darauf hin, dass Vetter sich mit dem Abt identifiziert hatte. « Die Inschrift besagt, dass der letzte Abt des Klosters, David von Winkelsheim, durch zwei Türen geflüchtet ist und er, Ferdinand Vetter, in seiner Nachfolge stehe », erklärt Andreas Münch. « Dazu muss man wissen, dass die neuen Herren von Zürich am 5. Juli 1525 das Kloster Sankt Georgen aufgelöst und mit dem Abt eine Abmachung getroffen hatten. Aber die Zürcher hielten sich nicht in vollem Umfang an die Abmachung und überwachten den Abt so eng, dass dieser sich vorkam wie im Gefängnis. So floh er im Oktober 1525 nach Radolfzell, wo er ein Jahr später starb. Vetter hat sogar ein Theaterstück mit dem Titel ‹ Abt David › geschrieben. Es kann in einer Hörspielfassung im Museum im Rahmen der Sonderausstellung ‹ 1524 Stürmische Zeiten – Kloster Sankt Georgen im Strudel der Reformation › angehört werden. » Zum 100. Geburtstag von Vetter im Jahr 1947 erzählte der Steiner Historiker Fritz Rippmann offenbar Folgendes über das Theaterstück : « Vetter behandelt darin seine Erlebnisse mit dem Stadtrat, dessen Mitglieder als Vorlage für einzelne Figuren dienten. Sein grimmigster Gegner war Präsident August Fuog. In seinem Stück nannte er ihn mit innerer Genugtuung ‹ Unfug › und charakterisierte ihn entsprechend. » Anlass war offenbar ein Streit um einen Misthaufen, der als Bächlein auf den Klosterhof floss.

Pionier des Denkmalschutzes
Dank Vetters grossem Engagement ist Sankt Georgen erhalten geblieben. Er liess den zum Teil fast abbruchreifen Gebäudekomplex in den 1890er-Jahren restaurieren. Damit gehört er der ersten Generation von Denkmalschützern an. So können Besucherinnen und Besucher noch heute die Filmberühmtheit am Rhein bewundern. Denn das ehemalige Kloster spielte eine wichtige Rolle im Film « Zwingli », der während der Winterpause 2018/2019 gedreht wurde. « Die Schauspieler froren in ihren Kostümen », erzählt Andreas Münch. « Aber der Grossteil der Szenen wurde hier im Klosterkomplex gedreht – zum Teil mit Aufbauten. » Die ehemalige Benediktinerabtei ist bestens erhalten. Die Innenräume sind prächtig ausgestaltet und zeugen vom Wohlstand des Klosters. Abt David von Winkelsheim, der ab 1499 amtete, liess zwischen etwa 1509 und 1515 den ganzen Südflügel der Klosteranlage neu erbauen oder umgestalten, ebenso die Abtswohnung, den Kreuzgang, die Pfarrkirche und das Gästehaus. In seine Zeit fällt auch die Ausgestaltung des Festsaals mit Gemälden. Diese gelten als herausragende Zeugnisse der frühen Renaissance nördlich der Alpen. Deshalb war es Münch bei seinem Stellenantritt ein grosses Anliegen, den damals geschlossenen Raum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen : « Dieses wichtige Kulturgut sollen die Museumsbesucherinnen und -besucher sehen können, denn es ist eine Kostbarkeit. » 

Béatrice Eigenmann, forumKirche, 26.3.25


Museum Kloster Sankt Georgen
Adresse : Fischmarkt 3, 8260 Stein am Rhein
Öffnungszeiten : 1. April bis 2. November, jeweils Di bis So, 11–18 Uhr
Offen am Karfreitag, Ostermontag, Pfingstmontag und 1. August

www.klostersanktgeorgen.ch

Kloster St. Georgen
Quelle: Béatrice Eigenmann
Steht dank Professor Ferdinand Vetter noch: das Museum Kloster Sankt Georgen

 

Reto Friedmann
Quelle: Béatrice Eigenmann
Federführend für die Tonspur: Radiokünstler und Theologe Reto Friedmann

 

Hörspiel-Station 10
Quelle: Béatrice Eigenmann
Nur noch als Foto: Mönchsfigur (Station 10)

 

Holzdecke und Klinkerboden
Quelle: Béatrice Eigenmann
Prächtige Holzdecken und Klinkerböden zeugen vom einstigen Wohlstand des Klosters.

 

Erkerfenster (Station 2)
Quelle: Béatrice Eigenmann
Ermöglichen den Blick auf den ewig fliessenden Rhein: Erkerfenster (Station 2)

 

Festsaal
Quelle: Béatrice Eigenmann
Der berühmte Festsaal mit den kostbaren Gemälden der frühen Renaissance (Station 6)

 

Epitaph
Quelle: Béatrice Eigenmann
Vetters Epitaph im Kreuzgang (Station 11)

 

Gebäudekomplex als Filmkulisse
Quelle: Béatrice Eigenmann
Der Gebäudekomplex von Sankt Georgen diente als Kulisse für den Film «Zwingli».

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