Dem Ittinger Sturm folgen
Der Stationenweg zum Ittinger Sturm lädt dazu ein, die Geschehnisse von 1524 hautnah zu erleben und den Bezug zur Gegenwart zu schaffen.
Mit knirschenden Schritten nähert sich Familie Lehmann der Kirche Burg in Stein am Rhein. «Papa, isch es no wiit?», fragt der zwölfjährige Manuel mit erschöpfter Stimme. Sein Vater verneint: «Lueg Manuel, do vorne isch scho d’Chile vo Burg, mir sind gad do.» Plötzlich gesellt sich ein mittelalterlich gekleideter Mann zu ihnen. Er stellt sich als Heiri Vetterli vor, Nachtwächter von Stein am Rhein. Erfreut über seine Zuhörer, berichtet Heiri vom Leben in der Zeit um 1524 – von der Unterdrückung der Bauern, der Reformation und dem Ittinger Sturm.
Stationenweg für die ganze Familie
So beginnt der Podcast (Hörspielszene) bei der ersten Station des Stationenweges zum Ittinger Sturm von 1524. Die insgesamt sieben Stationen des Stationenweges folgen den Schauplätzen der damaligen Zeit und laden dazu ein, in die Welt von vor 500 Jahren einzutauchen. Der Weg führt von der Kirche Burg in Stein am Rhein über Unterstammheim, Nussbaumen und Uesslingen zur Kartause Ittingen und weiter an die Thur und nach Frauenfeld. Informationstafeln an jeder Station geben Auskunft über die historischen, geistlichen und sozialpolitischen Aspekte jener Zeit. Wer dem angegebenen QR-Code folgt, kann sein Wissen noch mehr vertiefen.
Auch bei jeder Station mit dabei ist Familie Lehmann. In einem zehn- bis fünfzehnminütigen Podcast pro Station berichtet sie von ihren Erlebnissen. Dabei trifft die Familie an jeder Station auf einen fiktiven Zeitzeugen, der aus erster Hand von der damaligen Zeit berichtet. «Durch diese Podcasts wird der Stationenweg lebendig und ist daher auch für Familien mit Kindern und Jugendlichen oder auch für Schulklassen attraktiv», ist Diakon Alex Hutter, Mitglied der Arbeitsgruppe rund um den Stationenweg, überzeugt.
Von Grund auf erarbeitet
Initiiert wurde der Stationenweg von der evangelischen Landeskirche Thurgau in Zusammenarbeit mit der katholischen Landeskirche Thurgau. Den Auftrag zur Umsetzung des Stationenweges erhielt eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Seelsorgenden beider Konfessionen der beteiligten Gemeinden sowie Mitgliedern von tecum. In eineinhalb Jahren Vorbereitungs- und Planungszeit ist der Stationenweg von Grund auf erstellt worden. «Unser historisches Wissen zum Ittinger Sturm war am Anfang sehr klein», sagt Alex Hutter schmunzelnd. «Wir mussten uns zuerst in das Thema einlesen.» Gemeinsam haben die Mitglieder das Konzept zum Stationenweg entwickelt und mit Unterstützung eines Historikers die historischen Texte für die Schautafeln erarbeitet. Diese bilden nun die Basis für den Stationenweg. «Die Vorbereitungszeit war für mich sehr spannend», berichtet Alex Hutter. «Erst durch die intensiven Recherchen habe ich einen Eindruck davon bekommen, wie das Leben vor 500 Jahren war. Es war eben nicht gut. Das stimmt einen sehr nachdenklich.»
Bezug zur heutigen Zeit schaffen
Mit dem Stationenweg möchte die Arbeitsgruppe aber nicht nur auf die Ereignisse von damals hinweisen, sondern mit kleinen Impulsen auch einen Bezug zur Gegenwart schaffen. So findet sich bei jedem Text nebst einer passenden Bibelstelle und einer modernen Grafik auch eine Anzahl an Fragen, die zum Nachdenken anregen. «Die Themen von damals sind auch heute noch aktuell», sagt Alex Hutter. «Ich kann mich beispielsweise fragen: Wo sehe ich Ungerechtigkeit in meinem Umfeld? Wo kann ich Frieden zwischen den Fronten stiften?» Diese Fragen lassen sich gut zum Nachdenken auf den weiteren Fussmarsch mitnehmen, oder man diskutiert sie in der Gruppe.
Viele Wege führen zum Ziel
Die gesamte Strecke des Stationenweges beträgt etwa 23 km und ist, je nachdem, welchen Wanderweg man wählt, in gut 6,5 Stunden machbar. Die Route ist dabei frei wählbar. Der Themenweg kann auch gut per Velo oder teilweise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln begangen werden. Wer mag, kann die Stationen auch auf mehrere Tage verteilen. Der Stationenweg bleibt für etwa fünf Jahre bestehen. «Wahrscheinlich wird er im Jahr 2029 wieder abgeräumt, weil dann mit der Ankunft Zwinglis in Frauenfeld 1529 das nächste 500-Jahr-Jubiläum ansteht», sagt Alex Hutter. Wer den Weg nicht begehen, aber trotzdem sein historisches Wissen vertiefen und in Ruhe seinen Gedanken nachgehen möchte, findet die Stelen auch alle nebeneinander in der Kartause Ittingen.
Simone Ullmann, 14.05.2024
26. Mai 2024: Gemeinsames Begehen des Stationenweges. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.tecum.evang-tg.ch/ittinger-sturm
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