Ostern aus dem biblischen Exodus-Motiv deuten
Warum wird jedes Jahr in der Osternacht die Lesung aus dem Buch Exodus (Ex 14) vorgetragen ? Hat das eine Bedeutung ? Laut liturgischer Vorgaben gibt es eine Auswahl an Lesungen für die Osternacht. Neben dem Buch Exodus (Ex 14), dem Römerbrief (Röm 6) und dem Evangelium mit der Erzählung vom leeren Grab Jesu können sechs weitere Lesungen gewählt werden. Oftmals wird die Schöpfungserzählung (Gen 1) gewählt. Aber warum ist die Geschichte des Exodus verpflichtend ?
Wenn wir aus christlicher, ja aus österlicher Sicht die Lesungen deuten und die Geschichte des Exodus so zentral ist, muss diese Rettungsgeschichte für Ostern sehr wichtig sein. In der Exodus-Erzählung wird geschildert, wie Gott das Volk Israel am Meer gerettet hat. Das Volk wurde zunächst aus der Sklaverei in Ägypten ziehen gelassen (Ex 12,31), da die Plagen, die Gott über die Ägypter geschickt hatte, zu einem Umdenken des Pharaos führten. Kaum auf dem Weg in das « Gelobte Land », zog der Pharao mit seiner Streitmacht hinterher, um das Volk Israel zurückzuholen (Ex 14,5-8). Für das Volk Israel folgt nun die wundersame Rettung am Meer, indem Mose das Meer teilt, das Volk trockenen Fusses hindurchgehen kann und das hinterherziehende Heer der Ägypter in den Fluten des Meeres ertränkt wird (Ex 14,21-29).
Wichtig ist in dieser Geschichte, dass sie nicht gegen die Ägypter selbst gelesen wird. Es ist eine Erzählung des Volkes Israel, die die Verbundenheit mit Gott und dem Glauben an Gott ausdrücken soll. Im Zentrum steht vielmehr die Erfahrung, dass Gott sein Volk rettet und befreit (Ex 14,30). Und genau dieses Moment und dieses Bild von Gott hilft in christlicher Lesart für die Deutung von Ostern : Gott ist der Retter. So wie Gott sein Volk aus der Sklaverei befreit und zu einem neuen Leben (im Gelobten Land) geführt hat, so hat Gott seinen Sohn in der Auferweckung gerettet und in ein neues Leben geführt. Das Alte ist hinter diesem « Exodus », dem Durchzug durch den Tod, und etwas Neues hat begonnen. Zugleich ist das Alte nicht vergessen oder unwichtig ; die Erinnerung an die Erfahrungen und Erlebnisse sind präsent. Am auferweckten Jesus zeigt sich dies daran, dass die Wundmale weiterhin sichtbar sind ; es ist die körperliche und seelische Erinnerung an den Leidensweg, die durch die Auferweckung nicht einfach aufgelöst und weggewischt ist.
Diese Erfahrung der Rettung durch Gott – sowohl beim Exodus als auch an Ostern durch die Auferweckung Jesu – ist zudem Hoffnung für uns : Wenn Gott der Retter ist und Jesus Christus zu einem neuen Leben auferweckt hat, dürfen auch wir vertrauen (glauben), dass auch wir durch den Tod
hindurch in ein neues Leben gerettet werden.
An dieses Bild schliesst die Lesung aus dem Römerbrief an, der zudem für die Taufe oder Tauferinnerung in der Osternacht wichtig ist und nochmals die Osternacht deutet. « Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind ? Wir wurden ja mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln. » (Röm 6,3-4) So zeigt sich in der Taufe der je persönliche « Exodus » aus der Bedrängnis von Schuld, Sünde und Tod – durch das Untertauchen in das Taufwasser – zu einem neuen Leben nach dem Durchschreiten des Wassers. Dann bin ich als getaufter Mensch mit Christus gestorben und auferweckt worden zu einem neuen (christlichen) Leben.
Wenn ich also Ostern mit der Geschichte des Exodus im Hinterkopf deute, dann ist Ostern das Fest der Befreiung. So verstehe ich die Auferweckung Jesu als Befreiung vom Tod und darf hoffen, dass auch ich durch die Taufe hindurch mitbefreit bin.
Die Feier von Ostern in der Nacht zeigt dies noch deutlicher : Die Osterkerze, die für Jesus Christus steht, geht uns voran durch die Dunkelheit und führt uns in den neuen Tag, der uns mit dem Licht des Ostermorgens begrüsst. Es ist ein Durchzug durch die Todesnacht in das Licht der Hoffnung und der Auferweckung.
Jean-Pierre Sitzler, 9.4.25
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