Gedanken zum Gottesbild

Gottesbilder beantworten Bedürfnisse der Gläubigen. Burkhard Genser* nähert sich ihnen als Psychologe in einem Interview. 

Sie haben sich als Psychologe die Frage nach Gottesbildern gestellt. Woher kommen diese?
Unsere Gottesbilder kommen aus der Bibel, der kirchlichen Lehre und der Predigt. Dazu kommen Vorbilder wie Albert Schweitzer oder Dietrich Bonhoeffer. Viele Sprichworte beziehen sich ebenfalls auf «Gott», etwa: Wo die Not am grössten, ist Gottes Hilfe am nächsten.  

Welche menschlichen Bedürfnisse spiegeln sich in den Gottesbildern?
Da ist das Bedürfnis, wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden, der Wunsch: Alle Menschen sind gleich. Dazu das Bedürfnis nach Anleitung und Sinnfindung, nach Werten wie Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit. Dies zeigt sich in der Frage: Wozu sind wir auf Erden? Dann das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, auch zur Gemeinschaft der Gläubigen. Und das Bedürfnis nach Ermutigung, Unterstützung und Hilfe bei kritischen Ereignissen.

Spielt die Persönlichkeit des Einzelnen beim Gottesbild eine Rolle?
Personen mit sogenannt «positivem religiösem Coping» (Bewältigungsstrategie) finden bei einem kritischen Lebensereignis eher einen Sinn. Sie bitten Gott um Kraft und erfahren durch ihn die Ermutigung, die eigenen Fähigkeiten einzusetzen und Hilfe zu suchen. Personen mit «negativem religiösem Coping» fühlen sich bei einem kritischen Ereignis eher bestraft oder von Gott verlassen – und resignieren.

Welche Rolle spielt die Erziehung?
Das Vorbild ist wesentlich: Wie zeigen die Eltern ihren Gottesglauben, z. B. beim Tischgebet? Wird über Gottes Wirken und über Glaubensinhalte gesprochen? Erleben die Kinder, wie der Glaube bei Schicksalsschlägen und bei Verzicht hilft? Wichtig ist es, Kinder zu unterstützen, Meinungsverschiedenheiten zuzulassen und Grenzen zu setzen.  

Welchen Einfluss hat die Gesellschaft respektive die Kultur?
Wir leben heute überwiegend im Überfluss. Leben ist jedoch mehr als Konsum. Jesus hat die Ungerechtigkeit der Welt gesehen. Er spricht vom Gericht Gottes. Dabei wird gelten: «Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.» (Mt 25,40) Was bedeutet das für jeden heute? Welche Anleitung gibt die Kirche dazu?
Die Hebräische Bibel (das Alte Testament) und das Neue Testament sind die überwiegenden Quellen der christlichen Gottesbilder. Sehr wichtig ist heute Gott als Vater und als Erlöser. Das Bild des strafenden Gottes hat lange Zeit dominiert. Das Gottesbild der Dreifaltigkeit ist nachbiblisch.

Wie sieht es bei Atheist*innen mit Gottesbildern aus?
Gott existiert, solange Menschen an ihn glauben und ihr Leben nach ihm ausrichten. Auch Atheist*innen können dem zustimmen. 

Wie beeinflussen sich Gottesbild und Menschenbild?
Die Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit zeigt eine Nähe zwischen Gott und Mensch. Beide können frei entscheiden. Machtausübung findet sich zwischen Gott und Mensch sowie zwischen Menschen. Seit dem Kirchenvater Augustinus (354–430 n. Chr.) dominierte das Menschenbild der lebenslangen Sündhaftigkeit; es wird vom Bild des verzeihenden sowie des strafenden Gottes begleitet.

Welchen Einfluss hat das Gottesbild für die seelische Gesundheit?
Menschen wissen meist, welches Verhalten «gerecht» ist. Sie halten sich daran, wenn sie andernfalls mit negativen Folgen rechnen müssen. Sanktionen müssen angemessen sein. So ist fehlbares Verhalten zu bestrafen, nicht aber fehlbare Gedanken. Normen, durch die die Person entwertet wird, sind schädlich, z. B. die Behauptung allgemeiner «Sündhaftigkeit». 

Was ist Ihnen bei den Gottesbildern wichtig?
Dass man Gott dankbar sein kann. Dankbarkeit mobilisiert man, wenn man die positiven Zuwendungen wahrnimmt, die man von Mitmenschen und Umständen bekommen hat. Ich bin überzeugt: Wenn eine Person nach einem kritischen Ereignis Unterstützung und Hilfe bekommt, wenn sie es bewältigt und Dankbarkeit empfindet, wird sie das Ereignis nicht als sinnlos erleben. Dankbarkeit fördert die Lebenszufriedenheit. Der Glaube kann dies unterstützen.

Interview: Christiane Faschon, 12.6.24


* Dr. Burkhard Genser wohnt in Altnau. Er ist Diplom-Psychologe im Ruhestand und arbeitete fast 30 Jahre in einer psychiatrischen Klinik. Er ist verheiratet, hat vier erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder.

«Sehr wichtig ist heute Gott als Vater und als Erlöser», sagt Burkhard Genser.
Quelle: Christiane Faschon
«Sehr wichtig ist heute Gott als Vater und als Erlöser», sagt Burkhard Genser.

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