Warum junge Menschen für das Klima auf die Strasse gehen
Sie sind jung, voller Elan und gut miteinander vernetzt. Die Rede ist von Greta Thunberg und zehntausenden Gleichgesinnten, die weltweit mit ihren Protesten darauf drängen, mehr gegen die drohende Klimakrise zu unternehmen. In der Schweiz formierte sich Ende letzten Jahres die Klimastreik-Bewegung, die in fast allen Kantonen ihre Ableger hat. forumKirche sprach mit Vertreterinnen von Klimastreik Thurgau über ihre Motivation und Erfahrungen.
Am Boden liegt eine weisse Papierbahn – bereit, eine wichtige Botschaft aufzunehmen, die viele Menschen wachrütteln soll. Die drei jungen Frauen, die das Transparent miteinander gestalten, unterbrechen ihre Arbeit für ein Interview. Sie gehören der neuen Bewegung Klimastreik Thurgau an: Noëlle Ruoss (18) arbeitet als Dialogerin, Naomi Brot (18) möchte im Herbst ein Jurastudium beginnen und Ina Schelling studiert Kommunikations- und Medienwissenschaft.
Sie sind in Familien aufgewachsen, in denen der Bezug zur Natur und der Umweltschutz eine grosse Rolle gespielt haben. Noch etwas verhalten und abtastend erzählen sie von ihren Erfahrungen. «Ich habe öfter an Clean-Up-Days (Müllsammelaktionen) teilgenommen. Das hat mich über Umweltfragen nachdenken lassen – in Bezug auf Verpackung, Ernährung oder Verkehr», sagt Ina Schelling. «Man kennt die Bedrohung des Klimawandels schon mega lange, unternimmt aber nichts. Das hat mich sehr gestört», erzählt Naomi Brot. Diese Unzufriedenheit trieb sie dazu an, an den ersten Schülerdemos in Zürich teilzunehmen. Auf der Zugfahrt von einer solchen Demo wurde in einem kleinen Kreis die Idee geboren, eine Regionalgruppe von Klimastreik Schweiz ins Leben zu rufen. «Wir waren voller Energie und fanden es cool, diese Energie in den Thurgau zu bringen», erinnert sich Naomi Brot.
Über soziale Medien wurde zum Gründungstreffen am 15. Februar eingeladen. Es kamen etwa 20 Interessierte. Seither hat Klimastreik Thurgau bereits zwei Demos in Frauenfeld und in Kooperation mit Fridays for Future Konstanz zwei grenzüberschreitende Demos organisiert.
«Unser ultimatives Ziel ist es, die Klimakrise abzuwenden», sagt Noëlle Ruoss. Dazu wurden auf nationaler Ebene drei grundlegenden Forderungen formuliert. Die CO2-Emissionen sollen bis zum Jahr 2030 auf Netto Null reduziert werden. Dabei soll auf Klima-Gerechtigkeit geachtet werden, d. h. dass beim wirtschaftlichen Umbau niemanden sozial benachteiligt wird, Grosskonzerne sollen für ihr Handeln Verantwortung übernehmen und durch das Fortschreiten der Klimakrise sollen Ärmere nicht mehr betroffen sein als Reiche. Und schliesslich soll auf nationaler Ebene der Klimanotstand ausgerufen werden. «Diese Forderung hat bereits an Wert verloren, weil man gemerkt hat, dass sie nicht viel bewirkt», so Noëlle Ruoss. Wenn die drei Forderungen nicht durchgesetzt werden können, strebt die Bewegung einen grundsätzlichen Systemwandel an. Dies sei allerdings ein weiter Begriff, der innerhalb der Bewegung noch klarer definiert werden müsse, so Naomi Brot.
In den anstehenden Nationalratswahlen sieht die Bewegung eine gute Chance. Sie möchte alle Kandidatinnen und Kandidaten befragen, ob sie eine Charta mit den drei Forderungen unterschreiben möchten. Das Ergebnis soll danach öffentlich gemacht werden.
Noëlle Ruoss hat durch die Bewegung viel gelernt: «Mir war das ganze Ausmass des Klimawandels nicht bewusst und dass es einen tipping point (Umschlagpunkt) gibt, an dem sich die Entwicklung nicht mehr aufhalten lässt.» Sie verzichtet bewusst auf die Autoprüfung und versucht, weniger Fleisch zu essen und ihren Plastikverbrauch zu reduzieren. Für Naomi Brot ist klar, dass man nicht ökologisch perfekt sein muss, um an den Demos teilnehmen zu können: «Bei vielen wächst das Bewusstsein dafür erst durch die Streiks.» Es gehe bei den Demos auch um Emotionen, die in einem etwas wachrütteln, ergänzt Ina Schelling. Dies durfte sie vor wenigen Wochen selbst erleben – beim internationalen Klimastreik in Aachen mit ca. 40‘000 Teilnehmenden. «Es berührt einen mega, dass sich so viele für unsere Zukunft einsetzen. Es ist, wie wenn ein Schalter umgelegt wird.»
Das Gespräch wird lockerer, es kommt auch Persönliches zur Sprache. Zwischendurch wedelt die eine oder andere mit ihren Händen, ein stilles Zeichen, mit dem in der Bewegung Zustimmung signalisiert wird. So auch, als Noemi Ruoff erzählt, dass für sie der Einsatz für die Umwelt allgegenwärtig, zu einem Teil ihrer Persönlichkeit geworden sei: «Letztens habe ich sogar davon geträumt.» Naomi Brot berichtet von einer Begebenheit in einem Nachtbus, wo sie spontan zwei Jugendliche angesprochen habe. Diese hatten sich über ein Foto in den sozialen Medien unterhalten, mit denen die Klimastreiks kritisiert wurden. Schliesslich habe der ganze Bus mitdiskutiert: «So etwas hätte ich vorher nie fertiggebracht.»
Und wie reagiert ihr Umfeld? Der Grossteil der Familie steht uneingeschränkt hinter den Dreien, auch wenn sie sich von den Eltern hier und da die Mahnung gefallen lassen müssen, die eigene Zukunft nicht aus den Augen zu verlieren. Auch sonst erhalten sie viel Zuspruch.
Weh tut es, wenn sie mit Jugendlichen in einen Topf geschmissen werden, denen die Sorge um die Umwelt egal ist, z. B. mit den Müllsündern auf Open Airs. «Das ist ungerecht», beklagt sich Noëlle Ruoff. Manchmal werden sie von älteren Leuten für ihr Engagement heftig kritisiert. Vor allem im Internet fallen solche Äusserungen beleidigend aus. Ina Schelling bedauert dies: «Wir schaden ja niemandem, im Gegenteil, wir tun für alle etwas Gutes.» Naomi Brot ist es letztlich egal wie man über ihre Bewegung urteilt. Entscheidend ist für sie, dass «es auf jeden Fall niemand mehr gibt, der in ein Flugzeug steigt und nicht an uns denkt.»
Eine besondere Verbindung hat Klimastreik Thurgau zur evangelischen Kirchgemeinde Kreuzlingen. Hier steht ihnen das Jugendhaus Boje für ihre Treffen und Vorbereitungen zur Verfügung. Ausserdem ist in der evangelischen Kirche Kreuzlingen am 1 Dezember ein interreligiöser Klimagottesdienst geplant. «Im Anschluss daran laden wir zu einem Klima-Kaffee ein, bei dem wir über unsere Visionen reden wollen und Gelegenheit zum Austausch bieten», sagt Ina Schelling. Von der Enzyklika Laudato si haben die drei noch nichts gehört, obwohl Papst Franziskus in diesem Schreiben viele ihrer Anliegen schon vor vier Jahren aufgegriffen hat und an alle appelliert, «unser gemeinsame Haus zu schützen». Doch sie sind offen für solche Verbindungen und freuen sich, wenn sich viele für den Klimaschutz stark machen und Kräfte gebündelt werden.
Mehr AufklärungVon den Medien erwarten die jungen Klima-Aktivistinnen, dass sie ihren Anliegen mehr Stimme verleihen. Sie kritisieren ausserdem, dass dort oft verharmlosend vom «Klimawandel» gesprochen werde. Die Bezeichnung «Klimakrise- oder katastrophe», beschreibt ihrer Meinung nach die Realität besser.
Auch von den Schulen wünschen sie sich mehr Unterstützung. Zum einen dass das Thema Klima dort intensiver behandelt wird und dabei neueste wissenschaftliche Erkenntnisse einfliessen, zum anderen dass mehr Verständnis gegenüber streikenden Schülerinnen und Schüler entgegengebracht wird. Denn bei einer solchen Demo könne man vieles lernen, was in der Schule so nicht möglich sei, z. B. wie man einen Anlass plant, Aufgaben verteilt, mit Behörden umgeht oder vor einer grösseren Gruppe redet.
Klimastreik Schweiz gibt sich mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden. Am 31. August plant sie Demos in ländlichen Gebieten. «Bisher fanden die Demos in Städten statt und waren eher von Studenten getragen. Das wollen wir nun ändern», erklärt Noëlle Ruoss die neue Strategie. Ausserdem sollen nächstes Jahr explizit auch Berufstätige angesprochen und mit ins Boot geholt werden. Obwohl sich bis 2030 noch viel ändern muss, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, blicken die drei jungen Frauen optimistisch in die Zukunft. Die letzten kantonalen Wahlen und die Europawahl hätten gezeigt, dass das Bewusstsein für ökologische Anliegen bei vielen Menschen wachse. «Wir hoffen, dass sich dieser Trend bei den Nationalratswahlen fortsetzt», sagt Naomi Brot.
Noëlle Ruoss ist noch voller positiver Eindrücke vom nationalen Klimastreik-Treffen: «Es stimmt mich zuversichtlich, wie viele coole, junge Menschen mitmachen. Die Gesellschaft wird sich verändern. Wir werden Grosses erreichen.»
Detlef Kissner (20.8.19)
Noëlle Ruoss (v. l.), Naomi Brot und Ina Schelling wollen dazu beitragen, dass die Klimakrise gestoppt wird.
Bild: Detlef Kissner
Momentaufnahme vom internationalen Streik in Kreuzlingen/Konstanz am 11. Mai 2019.
Bild: zVg
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