WG in Zürichberg-Villa
Wie geht das Zusammenleben von Flüchtlingsfamilien aus der Ukraine und Gastfamilien in Zürich? Besuch in einer Wohngemeinschaft (WG) der aussergewöhnlichen Art.
Manuela und Urs Horber haben ihr Haus für ukrainische Flüchtlinge geöffnet, «aus Betroffenheit und um etwas zu tun gegen die Machtlosigkeit», erklären sie. «Der Glaube, unsere christlichen Werte haben auch eine Rolle gespielt.» Der 27-jährige Sirus aus Afghanistan war zu dieser Zeit bereits ihr Gast. Als papierloser Flüchtling war er besonders schutzbedürftig. Die ukrainische Familie, bestehend aus Pavlo, Olena und dem kleinen Daniel, wohnte von Mai 2022 bis Februar 2023 bei Horbers. «Wir haben ja Platz», sagt Urs Horber. Ihre zwei erwachsenen Kinder und die Pflegetochter sind ausgezogen. Sirus hat ein Zimmer im oberen Stock der Zürichberg-Villa, die ukrainische Familie bewohnte einen Raum im Erdgeschoss, mit eigenem Bad und separatem Ausgang in den grossen Garten.
Drei Esskulturen
In der Villa gibt es nur eine Küche. Und die afghanische, ukrainische und schweizerische Esskultur. «In der Ukraine kocht man eher deftig und am liebsten mit Fleisch», sagt Manuela. «Für Sirus kommen nur Lamm und Poulet infrage, und wir möchten – aus ökologischen Gründen – den Fleischkonsum reduzieren.» Deshalb kochte Manuela fünfmal in der Woche abends für alle. Zweimal kochte Pavlo aus der Ukraine, Sirus ab und zu. Wer nicht kochte, übernahm das Aufräumen. Das sei ganz gut gegangen, nur war das viele Kochen mit der Zeit anstrengend für Manuela. Die zweite grosse Herausforderung war die sprachliche Verständigung. Deutsch konnten Olena und Pavlo gar nicht, Englisch ganz wenig. «So haben wir bei komplexeren Themen über die App am Handy kommuniziert», sagt Manuela. «Mit der Zeit konnten wir uns immer besser verständigen.» Das Zusammenleben in einer WG sei immer anspruchsvoll, das habe nichts mit der Nationalität zu tun: «Jeder hat andere Vorstellungen beim Kochen, Aufräumen oder bei der Sauberkeit.»
Wie bei Verwandten
Pavlo ist heute zu Besuch. Er hat in kyrillischer Schrift etwas in sein Handy eingetippt und zu lesen ist die Übersetzung: «Wie wir hier empfangen wurden, war sehr angenehm. Wir hatten den Eindruck, bei Verwandten zu leben.» Das grösste Problem sei ihre Situation mit dem Krieg. «Wir haben mit Stress und Niedergeschlagenheit gekämpft, aber Manuela und Urs haben uns sehr geholfen.» Eine Erleichterung war wohl, dass die Familie gemeinsam fliehen konnte. Das war nur möglich, weil sie bei Kriegsausbruch gerade in der Türkei in den Ferien war. In der Ukraine wäre Pavlo in die Armee eingezogen worden. Er ist Creative Art Director, seine Frau digitale Illustratorin. Um in der Schweiz einen Job zu finden, lernen er und seine Frau intensiv Deutsch. Seit dem 1. Februar wohnt die Familie in einer eigenen Wohnung, die sie selbst gefunden hat und mit dem Geld der Flüchtlingshilfe bezahlen kann. Urs und Manuela haben mit Unterstützung ihrer Pfarrei die meisten Möbel aufgetrieben und beim Umzug geholfen.
Unterschiede aushalten
Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund, einer fremden Sprache und mit der hohen psychischen Belastung durch einen Krieg in der Heimat bei sich in der Wohnung aufzunehmen, ist eine grosse Herausforderung. Das weiss Eveline Husmann, die das Ukraine-Büro von Katholisch Stadt Zürich leitet. Sie koordiniert die Unterstützung von Geflüchteten durch die Pfarreien. «In den meisten Gastfamilien läuft es wie bei Horbers trotz Schwierigkeiten gut. Es gibt aber auch Situationen, wo das Zusammenleben an seine Grenzen kommt, wenn Gastfamilien sich z. B. als Hotel missbraucht fühlen oder Misstrauen spüren und wegen der Sprachbarriere die Situation nicht klären können. Und nur die wenigsten Gastfamilien haben damit gerechnet, mehr als ein Jahr Gastgeber zu sein. Wenn nicht klare Abmachungen getroffen werden, um diese Zeit den Möglichkeiten der Gastfamilien entsprechend zu begrenzen, kann es ebenfalls Probleme geben.»
Würden Manuela und Urs wieder eine Familie aufnehmen? «Ich glaube schon», sagt Manuela. «Trotz gewisser Schwierigkeiten war für uns die Erfahrung positiv. Wir konnten auch unbeschwert miteinander lachen! Die Familie war nett, unkompliziert und absolut vertrauenswürdig. Wir konnten ihnen Haus und Garten anvertrauen, als wir in den Ferien waren.» Sie würde nur nicht mehr anbieten, fünfmal zu kochen, meint sie lachend.
Beatrix Ledergerber/Red., 08.06.2023
(Erstveröffentlichung forum Zürich 3/2023)
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