Der Grossteil kommt der Region zugute

In den vergangenen Jahren hat sich ein neuer Volkssport etabliert: das Austreten aus der Kirche. Dies stellt die Landeskirchen zunehmend vor finanzielle Probleme. Die Auswirkungen bekommen karitative und soziale Institutionen zu spüren. Letztlich stellt sich die Frage: Wer soll das bezahlen?

So mannigfach wie Religion, Glaube oder Spiritualität gelebt werden können, so monochrom ist die Begründung vieler Menschen, die aus der Kirche austreten. Topargument sind die wiederkehrenden Berichte über Missbräuche, gepaart mit der Abkehr vom Glauben. Oder zumindest der Zweifel daran, diesen in einer strukturierten Organisation zu leben. Dabei herrscht das Vorurteil, ein Grossteil des Geldes würde nach Rom überwiesen, was nicht stimmt. Von den Einnahmen durch die Kirchensteuer im Thurgau beispielsweise verbleibt der Löwenanteil im Kanton. Konkret: 97,49 Prozent, was im vergangenen Jahr einem Betrag von rund 33,5 Millionen Franken entsprach. Der internationale Beitrag (Rom 0,28 %) ist so gering, dass er auf der Grafik unten kaum zu erkennen ist.
Vorab kann bilanziert werden: Der grösste Teil der Kirchensteuern fliesst direkt in das Seelsorgeangebot. Dazu gehört die Begleitung vieler Menschen an den Schnittstellen ihres Lebens. Angefangen bei der Taufe über die Hochzeit bis zu einer allfälligen Trennung, Krankheit und den Tod.

Was macht die Kirche mit dem Geld?
Neben der Seelsorge finanzieren die evangelischen und katholischen Landeskirchen und die einzelnen Kirchgemeinden diverse soziale und karitative Organisationen. Die Höhe der finanziellen Aufwendungen hängen von den einzelnen Regionen und den jeweiligen Bedürfnissen ab. Weil das Engagement stark variiert, lassen sich die Regionen nur schwierig miteinander vergleichen. Dasselbe gilt für die gesamte Schweiz. Dennoch zeigen einige Beispiele, welche positiven Anwendungen im Gemeinwesen durch die Kirchensteuern ermöglicht werden und von allen Menschen in Anspruch genommen werden können.
Über die Seelsorge in den Gottesdiensten hinaus gehört dazu die Altersbetreuung, die Jugendarbeit, die Betreuung von Behinderten oder Menschen in Gefängnissen, um nur einige zu nennen. Nun kann man argumentieren, dies seien alles Beispiele, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Glauben stünden und kämen letztlich nur denen zugute, die mit der reformierten oder katholischen Kirche verbunden seien. Daraus liesse sich schliessen, einzelne Institutionen müssten sich auch selbst finanziell tragen. Schliesslich hat auch nicht jeder Jassclub die Möglichkeit, Steuern zu erheben. Doch das Engagement der Landeskirchen geht weit über die eigenen Interessen hinaus und ist deshalb relevant für die Gemeinschaft, unabhängig von religiöser Zugehörigkeit, und leistet einen wesentlichen Beitrag zum sozialen Frieden dem Erhalt von Kulturgütern und unserer Geschichte.
Davon profitiert die gesamte Gesellschaft. Um in der Region zu bleiben seien an dieser Stelle nur einige erwähnt, die von der katholischen Landeskirche Thurgau unterstützt werden. Allen voran die Caritas, welche im vergangenen Jahr 300’000 Franken erhielt, das Kloster Fischingen, die kirchliche Notherberge, Hospize oder Notfalltelefone wie die Dargebotene Hand, Schuldenberatung oder Notschlafstellen. 
Mit sinkenden Einnahmen, bedingt durch viele Kirchenaustritte, wird es für die Landeskirchen immer schwieriger, diese Verantwortung wahrzunehmen. Teilweise ist dies auch in der Politik angekommen. In der Stadt Luzern nehmen sich die Grünen des Problems an. In einer Motion anerkennen sie die «gesellschaftlich hoch relevante Aufgabe», die weit über die eigenen Glaubensangehörigen hinausgehen, und weisen auf das sich abzeichnende, finanzielle Problem hin. Sie gehen davon aus, dass die Landeskirchen die heutigen Leistungen mittelfristig nicht mehr finanzieren könnten. Fraglich bleibt dann, ob da andere Akteure in die Bresche springen können und wollen.

Unbezahlbare Freiwilligenarbeit
Neben den finanziellen Aufwendungen darf die unbezahlbare Freiwilligenarbeit im Gesamtblick nicht ausser Acht gelassen werden. Ungezählte Menschen aus dem kirchlichen Umfeld leisten unzählige Stunden aus ideeller Überzeugung. Dies ist in der Gesellschaft generell von grosser Bedeutung. Nicht allein in der Kirche, sondern auch in den rund 100’000 Vereinen in der Schweiz. Allerdings führen gesellschaftliche Veränderungen bei vielen zu Mitgliederverlusten. Kaum ein Verein, der nicht händeringend um Nachwuchs oder Funktionäre kämpft. Das oft unentgeltliche Engagement in eine monetäre Grösse zu fassen, ist schwierig, wird aber teilweise gemacht. Gegenüber dem Kanton weist die Berner Landeskirche den Umfang der unbezahlten Freiwilligenarbeit aus. In den vergangenen Jahren wurde dieser jeweils mit gut zwölf Millionen Franken beziffert.

Schwieriger Vergleich
Doch zurück zu den konkreten Beispielen im Zusammenhang mit den katholischen Landeskirchen. Einige davon hat das katholische Medienzentrum kath.ch unlängst in einem Artikel zusammengetragen. Wie erwähnt, stellen die Strukturen und Bedürfnisse in den Regionen verschiedene Ansprüche und müssen deshalb individuell betrachtet werden. Direkte Vergleiche lassen sich nicht machen. Die Zahlenbeispiele (siehe unten) liefern aber einen beeindruckenden Auszug dessen, was mit den Geldern aus der Kirchensteuer finanziert wird.

Ralph Weibel, forumKirche, 2.10.24


Millionen für Soziales

Wer übernimmt die sozialen Aufgaben der Kirchen, wenn diese das Geld dafür nicht mehr haben? Die Frage ist aktuell: Die Landeskirchen verlieren wegen Austritten viel Steuereinnahmen. Wird der Staat für die millionenteuren gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Kirchen einspringen? Wie viel Geld investieren die Landeskirchen in gesamtgesellschaftliche Aktivitäten, von denen nicht nur die Kirchenmitglieder, sondern auch andere Menschen und die Gesellschaft als Ganzes profitieren? Was steht auf dem Spiel? Kath.ch hat bei einigen katholischen Kantonalkirchen nachgefragt.

22 Millionen Franken in St. Gallen
Der katholische Konfessionsteil in St. Gallen hat ein Budget von 76 Millionen Franken. Damit erbringt er Leistungen für die Gesellschaft in der Jugendarbeit, Stiftsbibliothek, im Stiftsarchiv, Beiträge ans Hilfswerk Caritas und an verschiedene Beratungsstellen wie etwa «Mütter in Not». Auch die Seelsorge in Gefängnissen und Spitälern gehört dazu. Rund 22 Millionen Franken werden für gesamtgesellschaftliche Leistungen erbracht.

40 Prozent des Budgets in Luzern
Die römisch-katholische Landeskirche Luzern gibt pro Jahr rund 40 Prozent ihres Budgets für gesamtgesellschaftliche Leistungen aus. Neben der Seelsorge fliesst das Geld in karitative Werke wie die Gassenküche Luzern. Die Landeskirche gewährt zudem Beiträge an das Hospiz Zentralschweiz, wo unheilbar kranke Menschen betreut werden. Im Aargau wurden von der römisch-katholischen Landeskirche im vergangenen Jahr 4,1 Millionen Franken für gesamtgesellschaftliche Leistungen ausgegeben. Unter anderem wurde damit, neben diversen Hilfswerken – der Aargauische Katholische Frauenbund, die Dargebotene Hand, die Fachstelle für Schuldenfragen, die Notschlafstelle Hope in Baden und das Frauenhaus Aargau/Solothurn unterstützt.

Im Kanton Zürich schenkt es ein
Die römisch-katholische Körperschaft des Kantons Zürich hat im vergangenen Jahr über 35 Millionen Franken für gesamtgesellschaftliche Leistungen aufgewendet. Dies entspricht 68 Prozent der aufgewendeten Mittel. Die Körperschaft weist im letztjährigen Finanzbericht zudem Ausgaben von über 30 Millionen für die Diakonie aus.

Imposante Summen in Bern
Im Kanton Bern erbringen die Kirchgemeinden den Löwenanteil der gesamtgesellschaftlichen Leistungen. 2021 wendeten Kirchgemeinden und Landeskirche gemeinsam 39,8 Millionen Franken für gesamtgesellschaftliche Leistungen aus. Die Aktivitäten werden in Bern wie in Zürich in die Bereiche Soziales, Bildung und Kultur gegliedert. Am meisten Geld wendet die katholische Kirche in Bern mit 23,5 Millionen Franken (2021) für Soziales auf. Bei der Bildung waren es 12,1 Millionen Franken.

Freiwilligenarbeit ist Millionen wert
Die Berner Landeskirche weist gegenüber dem Kanton zudem den Umfang der unbezahlten Freiwilligenarbeit aus. 2022 betrug der Wert der unbezahlten Arbeit 12,1 Millionen Franken.

kath.ch

Katholische Kirche Dussnang
Quelle: Plutowiki / Wikimedia Commons
Katholische Kirche Dussnang

 

 

Kreisdiagramm Verteilung Kirchensteuer 2023 im Kanton Thurgau
Quelle: adur.design
Verteilung Kirchensteuer 2023 im Kanton Thurgau

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