Die Suizidkapsel Sarco polarisiert
Die Rechtslage in der Schweiz ist eindeutig: Menschen, die nicht mehr leben wollen, dürfen sterben. Dafür müssen sie nicht an einer tödlichen oder unheilbaren Krankheit leiden. Es braucht nicht einmal ein psychiatrisches Gutachten, welches der Person mit Sterbewunsch die Urteilsfähigkeit attestiert. In der Schweiz reicht ein entsprechendes Schreiben der Hausärztin oder des Hausarztes.
Als «Banalisierung und Idealisierung des Freitods» urteilt die Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz über den Einsatz der Suizidkapsel. Die Einfachheit des Suizids würde ein Umfeld schaffen, in dem sich Angehörige nicht mehr trauten, «die Entscheidungen ihrer Liebsten zu hinterfragen, weil Selbstbestimmung derart an Wert gewonnen hat, dass der Versuch, jemanden von einem Suizid abzuhalten – zumal dieser in der Schweiz legal ist –, als derbe Respektlosigkeit gilt.»
Scharfe Kritik aus Rom
Die Haltung der römisch-katholischen Kirche zum Thema assistierter Suizid ist klar und deutlich: Allein dem Schöpfer steht das Recht zu, über Leben und Tod zu entscheiden. Im Frühjahr dieses Jahres hat der Vatikan in der Enzyklika «dignitas infinita» unterstrichen, dass das menschliche Leben, von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, einen intrinsischen Wert habe. Damit sei jede Art des assistierten Suizids unvereinbar mit der christlichen Lehre und der Menschenwürde an sich. Jede Art von Suizid sei eine Form der Euthanasie.
Rom spricht sich in «dignitas infinita» für eine Kultur aus, die das würdige Sterben fördert. Der Papst schreibt: «Sicherlich verlangt die Würde des Kranken, dass jeder die angemessenen und notwendigen Anstrengungen unternimmt, um sein Leiden durch eine angemessene palliative Pflege zu lindern und jeden therapeutischen Übereifer oder jede unverhältnismässige Massnahme zu vermeiden. Ein solches Bemühen ist jedoch etwas ganz anderes, Unterschiedliches, ja Gegenteiliges gegenüber der Entscheidung, das eigene Leben unter der Last des Leidens zu beseitigen.»
Palliative Ansätze
Für Patrick Schafer, Spitalseelsorger und Co-Leiter des Pastoralraums Bern, ist diese Art der Begleitung bereits Alltag. Aber genau in diesem Alltag begegnet ihm auch die Frage nach aktiver Sterbehilfe. «Ich werde als Seelsorger oft auf das Thema Suizid angesprochen», sagt Schafer, «aber die wenigsten Menschen gehen schliesslich diesen Weg.»
Wichtig sei es, die Betroffenen ernst zu nehmen und gemeinsam mit ihnen zu ergründen, woher der Sterbewunsch kommt. «Nicht immer sind es Schmerzen, die einem Menschen die Lebenslust nehmen. Oft steht dahinter auch Angst, Einsamkeit oder die Befürchtung, eine Last für andere zu sein», erzählt der Seelsorger. Und ein weiterer Aspekt werde in der Debatte zu wenig gesehen. «Für die Angehörigen ist ein Suizid oft furchtbar und nicht nachvollziehbar. Er hinterlässt quälende, offene Fragen.»
Seine Ansicht teilt auch Sabine Zgraggen, seine Zürcher Kollegin und Leiterin der grössten Dienststelle der Spital- und Klinikseelsorge in der Deutschschweiz. Sie findet bezüglich Sarco deutliche Worte. Für Zgraggen zeigt sich in der Suizidkapsel eine «Kreativität des Grauens». Zgraggen wünscht sich ein Umdenken. Ihre Fachstelle arbeitet aktuell an einem Leitfaden für einen anderen Umgang mit Sterbewünschen in der Seelsorge. Es brauche dafür den gesellschaftlichen und auch politischen Willen, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.
Debatte neu entflammt
Die Schweizer Politik und die katholische Kirche haben in der Sarco-Debatte einen gemeinsamen Nenner: nicht rechtskonform. Allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Während die katholische Kirche Suizid per se ablehnt, erlaubt ihn der Schweizer Staat unter bestimmten Voraussetzungen. Aber die Kapsel erfülle diese Voraussetzungen nicht, hatte die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider noch kurz vor Bekanntwerden des ersten Sarco-Todes klargestellt.
Baume-Schneider nannte zwei Gründe für ihr Nein zum Sarco: Die Kapsel erfülle weder die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts noch sei sie durch den Einsatz von Stickstoff mit den geltenden Regularien für die Verwendung von Chemikalien vereinbar. Am grundsätzlichen Schweizer Recht zur Suizidbeihilfe rüttelt Baume-Schneider nicht. Dennoch: Die Debatte um die aktive Sterbehilfe in der Schweiz entflammt wieder neu.
Magdalena Thiele, Pfarrblatt Bern, 6.11.24
Hilfe bei Suizidgedanken
Für Kinder und Jugendliche ist das Telefon 147 da, unter www.147.ch auch per WhatsApp und E-Mail erreichbar. Erwachsene können die Dargebotene Hand kontaktieren, Telefon 143 oder auf www.143.ch. Auch die Website www.reden-kann-retten.ch bietet Hilfe. Alle Angebote sind vertraulich und kostenlos.
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