Was Simone Hotz in der Ferne sucht
«Familie und Beruf – ich habe jahrelang in einem schnellen Rhythmus gelebt», sagt Simone Hotz aus Weinfelden. «Es ging mir nicht ums Verlangsamen, aber ich wollte mit dem Boden verbunden sein, ganz nahe an allem, was passiert zwischen Wegrand und Horizont. Das geht zu Fuss oder mit dem Velo am besten.» Deshalb also das Reisen.
Simone Hotz ist ein Mensch, der innehält und Erfahrungen nachspürt. Ein Mensch, dem es um Zwischentöne und Hintersinniges geht. Jemand der fragt: «Gebe ich dem, was ist und auf mich zukommt, genug Raum?»
Dass das Reisen eine gute Möglichkeit ist, solchen Fragen Raum zu geben, hat sie sich erhofft. Am Anfang stand ein «Deal»: «Mein Mann hat in den frühen Jahren unserer Familienzeit noch ein Studium gemacht. Dafür habe ich ihm den Rücken freigehalten. Als die Kinder dann definitiv gross waren, habe ich meinen Job gekündigt. Das <Zeitguthaben> bei meinem Mann wollte ich auch fürs Reisen nutzen.»
2022 folgte die erste grosse Velotour. Das eigentliche Ziel war Japan, in Etappen, zunächst mit dem Velo über Berlin nach Sankt Petersburg. Aber dann kam der Ukrainekrieg. Und die Reise endete in Berlin. Vor allem der Anfang durchs Allgäu war hart: steile Hügel, schweres Gepäck, ein Körper, der sich erst noch an die Anstrengungen gewöhnen musste. Und doch war ein Anfang gemacht: Was machen Landschaften mit einer, die hautnah alles auf sich zukommen lässt? Simone Hotz schreibt in ihrem Blog:
«Es ist die Ferne, die am Anfang einer Landschaft steht. Fahre ich mit meinem Rad von einer zur anderen, erfahre ich sie. Vermeintlich mit allen Sinnen. Und ich möchte verstehen, was war und was bleibt. Es ist das Stehen, das eine Landschaft hörbar macht - das Anhalten, Innehalten, mich ruhig verhalten. Dann erhalten Wind, Wasser, Bäume eine Stimme. Beim Fahren mischt sich das Treten, Atmen und Rollen ein. Das Licht gibt mir Orientierung. Und wenn das Licht die Landschaft lebendig macht, ist es ein Spiel, das aus Zeit und Veränderung besteht. Das Licht verspricht, dass jeder Moment flüchtig und einmalig ist.»
Auf die eigenen Grenzen hören
«Reisen gibt einem das Gefühl von Freiheit», sagt Simone Hotz. Freiheit – mit 42 kg Gepäck? «Ich wollte nicht frieren», erklärt die 55-Jährige lachend. «Im Zweifelsfall lieber den dickeren Schlafsack.» Dazu das Suchen nach Unterkunft und Verpflegung. Wo bleibt da die Freiheit bei so vielen Zwängen? Simone Hotz überlegt: «Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, gibt Freiheit. Und den eigenen Rhythmus zu finden auch.» Das war ihr immer wichtig: das Achten auf die Grenzen des eigenen Körpers, die Freiheit von Ehrgeiz und Erwartungen.
2023 dann die bisher längste Reise: Auch diesmal wieder in Etappen. «Das Losradeln vor der Haustüre hat einen besonderen Reiz», ist Simone Hotz überzeugt. Also zunächst einmal durch den Thurgau über Basel und Paris nach Cherbourg. Per Fähre nach Irland. Und von dort dann der Flug in den äussersten Westen der USA. Doch das Ankommen in Seattle war belastend und ein Schock: Obdachlosigkeit, Drogenabhängige. Was folgte: eine Velotour durch beeindruckende Landschaften vom Pazifik bis zum Mississippi, auf dem Trans America Bicycle Trail von Astoria in Oregon bis nach Minneapolis. Viele Pässe und zahllose herzliche Begegnungen: 126 Tage, 8'000 Kilometer, 43'000 Höhenmeter.
Das Rad im Kopf fährt mit
Und was passiert beim Reisen mit einem selbst? «Vieles verändert mich auf der Reise, macht mich weiter. Ich werde bescheidener, meine Welt wird grösser und bunter», sagt Simone Hotz. «Eigentlich ist man ja auf drei Rädern unterwegs: Da ist die Aussenwelt, all die Eindrücke. Es braucht gar nichts Besonderes. Nur weil es fremd ist, ist es schon spannend», umreisst sie ihre Erfahrung. «Und dann ist da noch das dritte Rad im Kopf, das sich unablässig mitdreht, das Rad der Gedanken, die immer wieder kommen. Aber irgendwann ist das dann auch fertig und dann ist es gut», lacht sie.
«Reisen ist ein Lernprozess», gibt Simone Hotz zu. Sich etwas zutrauen, Ungewissheiten aushalten, lernen, für alles selbst zuständig zu sein und auch mal Ängste zu überwinden.» Und die Heimkehr? «Zunächst ist es fast unwirklich, dass man wieder im Alltag ist. Die Seele braucht Zeit, bis sie wieder ankommt. Und es kann andere auch irritieren, wenn man jetzt als Heimgekehrte die eigenen Prioritäten besser kennt.» Deshalb traf sich Simone Hotz mit ihrem Mann Tobias zunächst in Berlin. «Da konnten wir die Wohnung einer Freundin nutzen, uns zu Hause fühlen. Und wir hatten Zeit, einander von unseren Erlebnissen zu erzählen. Denn die, die zu Hause geblieben sind, die haben ja auch was zu berichten.»
Klaus Gasperi, forumKirche, 27.03.2024
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