Wie geht es der jungen Generation in der Corona-Krise?
Fernunterricht an Hochschulen, keine Treffen mit Freunden, kaum Vereinstätigkeiten: Das Corona-Virus fordert Jugendlichen und jungen Erwachsenen viel ab. Wir wollten von einigen von ihnen wissen, wie sie damit umgehen und wie sie ihre Zukunft sehen.
«Am Anfang dachte ich, wie viele andere auch, dass die Einschränkungen relativ kurzfristig sind. Doch nun ziehen sie sich schon sehr lange hin, schränken mehr und mehr ein und irgendwann verliert man die Geduld», sagt die 20-jährige Cynthia Fuchs aus Wängi. Sie ist Scharleiterin der dortigen Jubla, Vorstandsmitglied des ansässigen Turnvereins, arbeitet als Sachbearbeiterin bei der Thurgauer Kantonalbank in Weinfelden und studiert nebenbei an der ZHAW in Winterthur Betriebsökonomie – was nicht weniger heisst als: sie ist derzeit in allen Bereichen ihres Lebens eingeschränkt. «Aufgrund der Homeoffice-Pflicht arbeite ich grösstenteils von zu Hause aus, nur in Ausnahmesituationen bin ich im Geschäft. Die Pandemie isoliert. Mir fehlt der direkte Kundenkontakt, mit Freunden und Kollegen etwas zu unternehmen. Natürlich vermisse ich es, in den Ausgang zu gehen, aber nur schon die Möglichkeit, sich zu sehen, zusammen einen Film zu schauen oder über Gott und die Welt zu reden, wäre toll», so Cynthia Fuchs. Ferner fehlt ihr die sportliche Betätigung. «Momentan gibt es im Turnverein Wängi kein Training für die aktiven Erwachsenen, nur die Jugendriege durfte nach den Skiferien wieder anfangen. Sport bedeutet für mich gemeinsame Bewegung und soziales Miteinander. Alleine zu Hause fällt es mir schwerer, mich zu motivieren. Selbst wenn ich spazieren gehe, mache ich das lieber mit jemandem zusammen», erklärt sie.
Zeit für sich und die FamilieDafür verbringt sie – nicht nur beruflich und im Rahmen des auferlegten Fernunterrichts ihrer Ausbildung – gerade viel Zeit vor dem Computer. Die Jubla Wängi organisiert sich aktuell für Anlässe und Sitzungen im Leiterteam ausnahmslos digital. Vor kurzem hat die 20-jährige Scharleiterin ein Zoom-Treffen mit den sechs Mädchen aus ihrer Gruppe durchgeführt. «Ich war überrascht, wie gut das funktioniert hat. Die Kinder haben sich total gefreut, weil sie sich in der Konstellation schon lange nicht mehr sehen konnten», erklärt Cynthia Fuchs. Sie sieht durchaus Vorteile in der Digitalisierung – so könnten selbst weit weg wohnende und kranke Personen an Sitzungen oder dem Online-Unterricht teilnehmen. Deshalb kann sie sich gut vorstellen, dass auch nach der Pandemie ein ergänzendes digitales Angebot sowie die vermehrte Nutzung von Social Media, mit der man gleichzeitig eine grosse Anzahl Personen erreiche, für die Jubla weiterhin interessant ist. Als weiteren positiven Aspekt dieser Krise sieht sie die gemeinsam gewonnene Zeit mit der Familie. «Ich bin sonst immer viel unterwegs. Jetzt sind alle zu Hause und wir reden mehr miteinander über alles. Zudem habe ich mehr Zeit für mich selbst. Auch das kommt manchmal zu kurz, vor allem, wenn man wie ich viele Hobbys hat».
Erschwerte StellensucheBeim 22-jährigen Rafael Wyler führte die Pandemie zu einem existentiellen Einschnitt. Der gelernte Kaufmann, der noch bei seinen Eltern in Berg wohnt, arbeitete als Trainer in einem Fitnessstudio. Eigentlich sollten bei ihm nur Stunden reduziert werden, doch unter anderem wegen der Corona-Massnahmen wurde sein Arbeitsverhältnis ganz aufgelöst. «Da gab es schon Momente, in denen ich Verzweiflung spürte», erzählt Rafael Wyler. Er hatte sich schon zuvor auf digitalen Jobbörsen umgeschaut. Damals konnte er noch auf etwa 1'100 Inserate im kaufmännischen Bereich zugreifen. Als er dann nach dem ersten Shutdown nach einem neuen Arbeitsplatz suchte, wurden dort nur noch etwa 400 bis 500 offene Stellen angeboten. «Es war extrem schwer, eine Stelle zu finden, auf die man sich bewerben konnte», erzählt Rafael Wyler. Er sei teilweise frustriert gewesen, weil auf viele seiner Bewerbungen negative Bescheide folgten. «Grundsätzlich war ich aber überzeugt, dass es etwas gibt, dass zu mir passt.» Schliesslich kam es auch so. Sein Berater vom RAV vermittelte ihm eine Stelle im Sekretariat der katholischen Pfarrei Frauenfeld, die er nach kürzester Zeit beginnen konnte. Der 22-Jährige war sehr dankbar dafür, zumal er im kaufmännischen Bereich noch keine grossen Erfahrungen aufweisen konnte. «Ich fühle mich sehr wohl dort», sagt er nach eineinhalb Monaten Anstellung.
Fehlende SpontanitätVor Corona trainierte Rafael Wyler etwa drei bis vier Mal pro Woche im Fitnessstudio. Dass diese Möglichkeit wegfiel, traf ihn nicht sonderlich hart. Er verlagerte sein Training eben ins Freie oder zu sich daheim. Tragischer ist für ihn, dass er den Menschen dort nicht mehr begegnet und seine Kollegen viel weniger sieht: «Die Kontakte vermisse ich am meisten.» In seinem Freundeskreis kämen die meisten gut mit den Einschränkungen klar. Sie wüssten ja, dass es nicht ewig so sein wird. Die zurückliegenden Monate waren für Rafael Wyler nicht nur anstrengend. Er hatte auf einmal mehr Zeit für seine Familie und sich selber, was er sehr schätzte. Da er weniger ausgegangen sei, habe er sogar Geld gespart. In den nächsten Wochen rechnet er mit gewissen Lockerungen, mit mehr aber auch nicht. Normalität wird seiner Meinung nach so schnell keine einkehren. Am meisten freut er sich darauf, dass er «wieder ganz spontan etwas unternehmen kann».
Statt Ausland nun direkt BerufLivia Honsell aus Bottighofen sieht ihrer nahen Zukunft mit einer gewissen Unsicherheit entgegen. Die 21-jährige befindet sich im Abschlussjahr zur Primarlehrerin an der Pädagogischen Hochschule Thurgau in Kreuzlingen und hat seit gut einem Jahr keinen Präsenzunterricht mehr gehabt. «Anfangs war alles recht chaotisch. Die Dozenten haben uns Aufträge erteilt, doch wir hatten gar keinen Überblick mehr, wann wir was und vor allem wie machen sollten, weil wir in vielen Modulen handwerklich arbeiten müssen», erzählt sie. In dieser Zeit hätte ihr die Gruppe der Mitstudent*innen Halt gegeben, weil sie sich regelmässig via Zoom trafen und zusammen arbeiteten, um eine gewisse Tagesstruktur zu schaffen. Der Online-Unterricht soll nun noch bis zum Sommer fortgesetzt werden, was für Livia Honsell bedeutet, dass sie ihren Abschluss ebenfalls digital machen wird. «Was danach kommt, weiss niemand. Ich wäre gerne noch ins Ausland gegangen. Im letzten Sommer hätte ich einen Sprachaufenthalt gehabt, der abgesagt wurde, genauso wie mein dreiwöchiger Arbeitseinsatz in Malaysia über Weihnachten und Neujahr. Jetzt mache ich den Sprachaufenthalt von zu Hause aus und werde mich direkt auf eine Stelle bewerben, was mir in der momentanen Situation sicherer erscheint», sagt sie. Ferien möchte sie aber trotzdem in diesem Jahr noch machen – und wenn es nur eine Zelttour durch die Schweiz ist.
Respekt und VerständnisIn dieser Zeit sei sie sehr viel draussen in der Natur gewesen. «In Bottigkofen kenne ich den Wald langsam in- und auswendig», lacht sie. Doch neue Menschen kennenzulernen, wegzugehen und zu tanzen, das fehle ihr immer noch sehr. «Ich bin froh, dass ich wenigstens Snowboarden gehen kann, so ein Gefühl von Freiheit wieder einmal zu erleben, ist wirklich grossartig». Als positiven Effekt empfindet sie zudem, dass «bestimmte Freundschaften gewachsen sind, weil Treffen intensiver wurden und man sie auch mehr zu schätzen gelernt hat». Die 21-Jährige fügt hinzu: «Ich sitze von morgens bis abends alleine vor dem Computer, wenn ich dann abends mit einer guten Freundin eine Stunde laufen kann, ist das total schön». Das Verständnis für die Massnahmen und der Umgang damit – darüber gäbe es in ihrem Freundeskreis unterschiedliche Meinungen, erzählt Livia Honsell. Den einen fehle es beispielsweise sehr, dass man sich nicht sehen könne, andere würden besser damit umgehen. «Ich bin irgendwie mittendrin. Ich verstehe, dass die Lage unter Kontrolle gebracht werden muss, habe aber gleichzeitig auch Mühe mit bestimmten Entscheidungen. Besonders wenn ich beispielsweise miterlebe, wie Menschen aus der Gastrobranche gerade hadern und Angst um ihre Existenzen haben». Sie finde es aber deshalb umso wichtiger, dass der gegenseitige Respekt füreinander bleibe. «Auch wir Jungen wollen nicht nur Party machen, es geht uns darum, unter Menschen zu kommen und herauszufinden, wo wir hingehören. Dafür wünsche ich mir genauso viel Verständnis, wie ich versuche, anderen entgegenzubringen».
An die FrontDie 20-jährige Naomi Brot wollte ihr Studium in Sozialer Arbeit nicht mit Online-Vorlesungen beginnen. Deshalb entschied sie sich, ein Zwischenjahr einzulegen und in einem Altersheim als Aushilfe zu arbeiten bzw. dort ein Praktikum zu machen. Dafür zog die junge Frau aus Kreuzlingen zu ihrer Partnerin in den Kanton Uri. «Ich bin direkt an die 'Front' gekommen», kommentiert sie ihren beruflichen Einstieg. Sie muss miterleben, wie sehr die alten Menschen unter den einschneidenden Kontaktbeschränkungen leiden: «Wir sind die einzigen Personen, die sie sehen. Eigentlich bräuchten wir jetzt zusätzlich Zeit für den zwischenmenschlichen Kontakt. Aber uns fehlt schon die Zeit für die eigentliche Pflege.» Die Bilder aus dem Heim gehen ihr nach, beschäftigen sie auch zu Hause. Andererseits ist sie dankbar, dass sie daheim nicht allein ist und keine existenziellen Ängste zu haben braucht. Naomi Brot ist politisch sehr engagiert, früher mehr in der Klimastreik-Bewegung, heute eher bei den Jusos und in deren Umfeld. «Wir sind auf Teamarbeit angewiesen, durch die Beschränkungen war viel weniger möglich», sagt sie. So sei es für sie auch schwieriger gewesen, sich in den Verbänden am neuen Ort einzubringen. Dafür waren über das Internet neue Begegnungen mit Gleichgesinnten aus anderen Ländern möglich.
Traum Openair-KonzertAnders als früher ist der Kalender von Naomi Brot jetzt leer. Das ist ungewohnt und komisch für sie. Den ersten Shutdown erlebte sie als schwieriger, weil jeglicher Antrieb verloren gegangen war: «Beim zweiten Shutdown habe ich mir rechtzeitig Alternativen einfallen lassen.» So habe sie ein altes Hobby – das Bauen mit Legos – wieder reaktiviert. Inzwischen hat sie sich fast an die neue Situation gewöhnt. Nur wenn sie Videos von grossen Konzerten mit Menschenmassen anschaut, wird sie «nostalgisch» und würde am liebsten wieder alte Freiheiten mit anderen zusammen geniessen. Ihren Freunden und Bekannten geht es ähnlich. Auch sie versuchen den Einschränkungen kreativ zu begegnen. Hier und da erlebt sie bei ihnen auch eine gewisse Ungeduld, dass alles wieder normal wird, oder die Sorge vor einer dritten Welle oder den Mutationen. «Die Monate, die so dahinfliegen, lassen sich nicht mehr wiederholen», sagt Naomi Brot, «viele haben das Gefühl, dass sie etwas verpassen.» Doch auch hier kann sie der Herausforderung etwas abgewinnen: «Man schätzt die neu gewonnenen Freiheiten wieder mehr.» Sie erinnert sich dabei an die Grenzöffnung zwischen Konstanz und Kreuzlingen nach dem ersten Lockdown. Richtet sie ihren Blick in die Zukunft, hofft sie, dass der Kampf in der Pflege für bessere Arbeitsbedingungen nicht abebbt, und dass auch andere Berufszweige, die eine tragende Rolle bei der Überwindung der Krise hatten, nicht vergessen gehen. Sie träumt von Treffen mit Freunden, mehr Nähe zu ihnen und von Openair-Konzerten, bei denen sie sorglos feiern kann. Am allermeisten würde sie sich aber darüber freuen, wenn sie am 1. Mai mit anderen wieder an einer grossen Demo teilnehmen könnte.
Sarah Stutte und Detlef Kissner, forumKirche, 2.3.21
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